Hören Sie das? Das ist die schweigende Mehrheit. Das sehen Sie überall. Wie jede Stadt neben einer typischen Architektur sich immer wieder Schicht für Schicht nach oben neu erfunden hat, so hat sie aber auch eine geradezu tektonische Geräuschkulisse und ein bisweilen erschütterndes Stimmengewirr aus längst vergangenen Epochen, das wie unsichtbarer Plüsch die Auslegware der Gegenwart garniert.
So hat jede Stadt ihre eigene Geräusch- und Klangbiografie. Der rhythmische Schlag des mittelalterlichen Schmiedes, den leidenschaftlichen, samtenen Flüsterton, mit dem Prinz Louis Ferdinand von Preußen Henriette Hertz bezirzte, ein sonores, hintergründiges Zischeln eines Tagelöhners im Scheunenviertel, der im Wind sich wiegende Schilf in Kladow, die Ätherstimme von Joseph Goebbels im Sportpalast, die schrillen Kurvenpfiffe beim Sechs-Tage-Rennen oder die junge, schöne Frau, die mit einem schier lautlosen Wimpernschlag, der doch eine kleine Ewigkeitsstille in den Rauchschwaden des „Diener“ in der Grolmannstraße hinterließ und dabei mit offenem Lebensblick mit wenigen Worten beschrieb, wie früher ihr Papi abends noch in ihr Kinderzimmer kam, um ihr erst galant die Hand und dann die Wange voll väterlichem Stolz und sanfter Hingabe zu küssen, so, als sei es ein Segen, der hielt, was er versprach: den engelgleichen Kindertraum, der Trolle und Alben nicht kennt, oder die belanglos synthetische Stimme des Navigationsgeräts, das einen mit seinem Kunstcharme in die übernächste Einbahnstraße lockt – das alles hat mehr in den Vorstellung eigene Spuren hinterlassen, als es jetmögliche Wirklichkeit vermag.
In Berlin wirkt diese empfundene und oft erfundene Geräuschkulisse allerdings bisweilen mehr eine ungeheure, gesammelte Kakophonie, fern von nervös kitzelnder Gedankenoper oder gedachter Symphonie. Vielmehr ist es eine innere, windige Partitur des Alltags und vielleicht auch des verborgenen Abgrunds, über den man glaubt, viel zu oft schreiten zu müssen.
Was längst der Erinnerung entschwunden ist, kann auf gut Glück noch im Kollektivgedächtnis der Tonträger als ein bestimmter Tonfall und seine eigentümliche Betonung wiedergefunden werden. Ja, es trifft zu, was Gottfried Benn 1931 auch über diesen unerhörten Zug der Vergänglichkeit dichtete:
„Lebe wohl,
far well,
und nevermore -:
aller Sprachen Schmerz- und Schattenlaut
sind dem Herzen,
sind dem Ohre
unaufhörlich
tief vertraut“,
Doch in diesen hörbaren Momentaufnahmen waren auch immer tatsächlich die Augenblicke zuhause, die im Grunde stets übersehen und erst in einem nachträglichen Empfinden und am Ende vielleicht sogar als Gegenwart selbst erkannt wurden, von der nicht wenige Denker allzu gern behaupten, sie fände ohnehin nur in der Erinnerung statt.
Allein Gedichte haben die andere Möglichkeit, der im wahrsten Sinne des Wortes mit einer sicheren Verlautbarung genau den instinktiven Reiz zu bestimmen, selbständige Tonträger in einem Sound zu sein, nicht in dem etwas ausgesprochen würde, sondern als Atmosphäre und expressives Dickicht vollendet formuliert zu sein – das sogar undeklamiert einen eigenen Ton hat.
So ist eben manche Lyrik das Geräusch des „Kairos“, das in der griechischen Philosophie den günstigen Zeitpunkt einer Entscheidung beschreibt, den Augenblick, der über Glauben und Unglauben entscheidet, oder, wie die Redensart will, man selbst nicht mehr die Gelegenheit beim Schopfe packen kann, die alles ändern könnte, sondern man in eine Richtung gestoßen wird, die alles anders werden lässt. So sind die Oden, von denen Horaz sagte, zumindest mit seinen habe er ein Denkmal errichtet, das dauerhafter als Erz sei, die Gegenwart wird zur denkbaren Unendlichkeit – so dass Hölderlin in seiner großen, schon ganz seiner Verlassenheit geschuldeten Hymne „Andenken“ in der Schlusszeile trotzig gegen allen Unbill und perfiden Gemeinsinn, kleinlich aufgebürdeter Ordnung und wohlmeinender, abgestumpfter Staatsräson behaupten konnte: „Was bleibet aber, stiften die Dichter!“
Es sind die Dichter, die sich laut machen gegen die schweigende Mehrheit. Mehr als jede andere Kunstform suchen sie den großen Auftritt im kleinsten Winkel, setzen Worte in die Welt, die kaum mehr wahrgenommen werden. So bewahrheitet sich der Satz von Hans Magnus Enzensberger, dass Deutschland ein Land sei, in dem mehr Gedichte geschrieben als gelesen würden. Die Politik hält nichts von den Lyrikern. Anders als in Amerika. Zur Amtseinführung von John F. Kennedy deklamierte der große, damals schon greise Robert Frost ein Gedicht und macht das Weiße Haus einmal mehr zum Camelot:
The land was our before we were the land's.She was our land more than a hundred yearsBefore we were her people. She was oursIn Massachusetts, in Virginia,But we were England's, Still colonials,Possessing what we still were unpossessed by,Possessed by what we now no more possessed.Something we were withholding from our land of living,And forthwith found salvation in surrender.Such as we were we gave ourselves outright(The deed of gift was many deeds of war)To the land vaguely; realizing westward,But still unstoried, artless, unenhanced,Such as she was, such as she would become.
Einer der größten politischen, philosophischen Ideendenker der Vereinigten Staaten, Allan Bloom, schrieb in seinem Meisterwerk „Der Niedergang des amerikanischen Geistes“: „Der Student, der sich über die Idee mokierte, unter dem Fenster eines Mädchens Gitarre zu spielen, wird niemals vom Zauber der Liebe erfasst Poesie lesen oder schreiben. Sein defekter Eros kann seiner Seele keine Visionen des Schönen schenken, und sie wird unfertig und schlaff bleiben.“
Der Meisterpolitologe münzte diesen Satz aber auch raffiniert gegen jene Politikerkaste, die in ihrem Gruppendenken sich hermetisch vor der Welt verriegelt. Ja, der Dichter bleibt draußen und wird nicht einmal als Geräuschemacher oder als zarter Störenfried akzeptiert, man hat immer die schweigende Mehrheit im Auge. Liebe und Schönheit in einer Staatsästhetik, die sich dem Menschen als positives Bild vergewissert und sich nicht derart postuliert, ausschließlich für das Missverständnis der Kreatur ausgleichswirkende Mechanismen zu schaffen? Sie bleiben in der Politik immer draußen vor der Tür. Bis vor ein paar Monaten.
In Berlin hatte sich Sonderbares zugetragen. Und so wurde es auch behandelt. Das „Zentrum für politische Schönheit“ hatte unter seinem Initiator Philipp Ruch nach der Wahl zum Bundespräsidenten Horst Köhler das 1904 entstandene Gedicht „An die Schönheit“ über Megafon vorgetragen. Es stammte von dem elsässischen Dichter Ernst Stadler, ein Expressionist, der in den ersten Tagen des Ersten Weltkrieges fiel, und wirkt, bei allem expressivem Gefühlsausdruck, doch fast klassisch, und entgegen allen Expressionsten wie Stadler eine große Ausnahme: Er sehnte im Gegensatz zum Berliner Dichter Georg Heym, der 1912 beim Eislauf in die Havel einbrach und ertrank, nicht die Apokalypse herbei und hoffte „nicht wenigstens auf einen Krieg“, wie Heym in seinem Tagebuch notierte. Geradezu schwelgerisch betete Stadler den Augenblick an:
An die Schönheit
So sind wir deinen Wundern nachgegangen
So hat jede Stadt ihre eigene Geräusch- und Klangbiografie. Der rhythmische Schlag des mittelalterlichen Schmiedes, den leidenschaftlichen, samtenen Flüsterton, mit dem Prinz Louis Ferdinand von Preußen Henriette Hertz bezirzte, ein sonores, hintergründiges Zischeln eines Tagelöhners im Scheunenviertel, der im Wind sich wiegende Schilf in Kladow, die Ätherstimme von Joseph Goebbels im Sportpalast, die schrillen Kurvenpfiffe beim Sechs-Tage-Rennen oder die junge, schöne Frau, die mit einem schier lautlosen Wimpernschlag, der doch eine kleine Ewigkeitsstille in den Rauchschwaden des „Diener“ in der Grolmannstraße hinterließ und dabei mit offenem Lebensblick mit wenigen Worten beschrieb, wie früher ihr Papi abends noch in ihr Kinderzimmer kam, um ihr erst galant die Hand und dann die Wange voll väterlichem Stolz und sanfter Hingabe zu küssen, so, als sei es ein Segen, der hielt, was er versprach: den engelgleichen Kindertraum, der Trolle und Alben nicht kennt, oder die belanglos synthetische Stimme des Navigationsgeräts, das einen mit seinem Kunstcharme in die übernächste Einbahnstraße lockt – das alles hat mehr in den Vorstellung eigene Spuren hinterlassen, als es jetmögliche Wirklichkeit vermag.
In Berlin wirkt diese empfundene und oft erfundene Geräuschkulisse allerdings bisweilen mehr eine ungeheure, gesammelte Kakophonie, fern von nervös kitzelnder Gedankenoper oder gedachter Symphonie. Vielmehr ist es eine innere, windige Partitur des Alltags und vielleicht auch des verborgenen Abgrunds, über den man glaubt, viel zu oft schreiten zu müssen.
Was längst der Erinnerung entschwunden ist, kann auf gut Glück noch im Kollektivgedächtnis der Tonträger als ein bestimmter Tonfall und seine eigentümliche Betonung wiedergefunden werden. Ja, es trifft zu, was Gottfried Benn 1931 auch über diesen unerhörten Zug der Vergänglichkeit dichtete:
„Lebe wohl,
far well,
und nevermore -:
aller Sprachen Schmerz- und Schattenlaut
sind dem Herzen,
sind dem Ohre
unaufhörlich
tief vertraut“,
Doch in diesen hörbaren Momentaufnahmen waren auch immer tatsächlich die Augenblicke zuhause, die im Grunde stets übersehen und erst in einem nachträglichen Empfinden und am Ende vielleicht sogar als Gegenwart selbst erkannt wurden, von der nicht wenige Denker allzu gern behaupten, sie fände ohnehin nur in der Erinnerung statt.
Allein Gedichte haben die andere Möglichkeit, der im wahrsten Sinne des Wortes mit einer sicheren Verlautbarung genau den instinktiven Reiz zu bestimmen, selbständige Tonträger in einem Sound zu sein, nicht in dem etwas ausgesprochen würde, sondern als Atmosphäre und expressives Dickicht vollendet formuliert zu sein – das sogar undeklamiert einen eigenen Ton hat.
So ist eben manche Lyrik das Geräusch des „Kairos“, das in der griechischen Philosophie den günstigen Zeitpunkt einer Entscheidung beschreibt, den Augenblick, der über Glauben und Unglauben entscheidet, oder, wie die Redensart will, man selbst nicht mehr die Gelegenheit beim Schopfe packen kann, die alles ändern könnte, sondern man in eine Richtung gestoßen wird, die alles anders werden lässt. So sind die Oden, von denen Horaz sagte, zumindest mit seinen habe er ein Denkmal errichtet, das dauerhafter als Erz sei, die Gegenwart wird zur denkbaren Unendlichkeit – so dass Hölderlin in seiner großen, schon ganz seiner Verlassenheit geschuldeten Hymne „Andenken“ in der Schlusszeile trotzig gegen allen Unbill und perfiden Gemeinsinn, kleinlich aufgebürdeter Ordnung und wohlmeinender, abgestumpfter Staatsräson behaupten konnte: „Was bleibet aber, stiften die Dichter!“
Es sind die Dichter, die sich laut machen gegen die schweigende Mehrheit. Mehr als jede andere Kunstform suchen sie den großen Auftritt im kleinsten Winkel, setzen Worte in die Welt, die kaum mehr wahrgenommen werden. So bewahrheitet sich der Satz von Hans Magnus Enzensberger, dass Deutschland ein Land sei, in dem mehr Gedichte geschrieben als gelesen würden. Die Politik hält nichts von den Lyrikern. Anders als in Amerika. Zur Amtseinführung von John F. Kennedy deklamierte der große, damals schon greise Robert Frost ein Gedicht und macht das Weiße Haus einmal mehr zum Camelot:
The land was our before we were the land's.She was our land more than a hundred yearsBefore we were her people. She was oursIn Massachusetts, in Virginia,But we were England's, Still colonials,Possessing what we still were unpossessed by,Possessed by what we now no more possessed.Something we were withholding from our land of living,And forthwith found salvation in surrender.Such as we were we gave ourselves outright(The deed of gift was many deeds of war)To the land vaguely; realizing westward,But still unstoried, artless, unenhanced,Such as she was, such as she would become.
Einer der größten politischen, philosophischen Ideendenker der Vereinigten Staaten, Allan Bloom, schrieb in seinem Meisterwerk „Der Niedergang des amerikanischen Geistes“: „Der Student, der sich über die Idee mokierte, unter dem Fenster eines Mädchens Gitarre zu spielen, wird niemals vom Zauber der Liebe erfasst Poesie lesen oder schreiben. Sein defekter Eros kann seiner Seele keine Visionen des Schönen schenken, und sie wird unfertig und schlaff bleiben.“
Der Meisterpolitologe münzte diesen Satz aber auch raffiniert gegen jene Politikerkaste, die in ihrem Gruppendenken sich hermetisch vor der Welt verriegelt. Ja, der Dichter bleibt draußen und wird nicht einmal als Geräuschemacher oder als zarter Störenfried akzeptiert, man hat immer die schweigende Mehrheit im Auge. Liebe und Schönheit in einer Staatsästhetik, die sich dem Menschen als positives Bild vergewissert und sich nicht derart postuliert, ausschließlich für das Missverständnis der Kreatur ausgleichswirkende Mechanismen zu schaffen? Sie bleiben in der Politik immer draußen vor der Tür. Bis vor ein paar Monaten.
In Berlin hatte sich Sonderbares zugetragen. Und so wurde es auch behandelt. Das „Zentrum für politische Schönheit“ hatte unter seinem Initiator Philipp Ruch nach der Wahl zum Bundespräsidenten Horst Köhler das 1904 entstandene Gedicht „An die Schönheit“ über Megafon vorgetragen. Es stammte von dem elsässischen Dichter Ernst Stadler, ein Expressionist, der in den ersten Tagen des Ersten Weltkrieges fiel, und wirkt, bei allem expressivem Gefühlsausdruck, doch fast klassisch, und entgegen allen Expressionsten wie Stadler eine große Ausnahme: Er sehnte im Gegensatz zum Berliner Dichter Georg Heym, der 1912 beim Eislauf in die Havel einbrach und ertrank, nicht die Apokalypse herbei und hoffte „nicht wenigstens auf einen Krieg“, wie Heym in seinem Tagebuch notierte. Geradezu schwelgerisch betete Stadler den Augenblick an:
An die Schönheit
So sind wir deinen Wundern nachgegangen
wie Kinder· die vom Sonnenleuchten trunken·
ein Lächeln um den Mund· voll süßem Bangenund
aus dämmergrauen Abendtoren liefen.
Nun legen zitternd sie die heißen Wangen
an feuchte Blätter· die von Dunkel triefen·
das hinter roten Wäldern hingegangen – –i
hr leises Weinen schwimmt und stirbt im Dunkel.
Obgleich mehr als hundert Jahre alt, durchaus in einem fast für unser Ohr entfernten Eichendorff-Ton voll simpler, nichts desto trotz in sinnlich starken Bildern gefasst, erregte das Gedicht, vorgetragen von der Kanzlerkandidatin der Aktion „Zentrum für politische Schönheit“, Nina van Bergen, Aufsehen und wurde für eine politische Kundgebung gehalten, so dass der Unruhestifter Ruch und alle an der Aktion beteiligten Künstler auf die Wache musste, wo seine Personalien festgestellt wurden. Ein paar Wochen später musste er beim Landeskriminalamt vorsprechen. „Poesie ist ein Rohstoff, der knapp werden kann“, erklärte er den etwas irritierten Beamten, die alles gewohnt waren, nur eines nicht: Selbst Kunst zu fördern. Mit ihrem Vernehmen gaben sie Stadlers Ode, fast 95 Jahre nach dem Tod des Dichters, einen neuen Sinn. Sie waren Teil einer Aktion, wieder einmal wurde Joseph Beuys posthum gewürdigt, denn er war es ja, der gesagt hatte, jeder Mensch sei ein Künstler. Ein Satz über den die Alltagssatiriker der 70er Jahre, Ordnungswächter, Lehrer und andere kleine Obrigkeiten, besonders hohngelächelt hatten. Auf die Frage, was denn das alles solle, antwortete Ruch den Fragestellern mit Verantwortung für Kunst und Moral: „Aktionskunst macht keinen Sinn, wenn man sie vorher anmelden muss.“ Und resümierte ironiefrei: „Deutschlands Rohstoff-Zukunft liegt in der Poesie.“
Intimsphäre als das letzte wahre Bildungsgut also, gegen Begriffsstutzigkeit und gegen das Lippenbekenntnis für eine „Bildungsrepublik Deutschland“, sondern für Prägung. Es ist ja nun wahrlich nichts Neues, dass der aufgeklärte Mensch kein Wissen möchte, sondern lieber gebildet sein. Kurz: Lieber einer Kultur zu entstammen, an der man leidet, sich abarbeitet, sich vollends erotisieren lässt, als aus einer wohltemperierten Kanüle eines Wissensklons abzustammen. Dass die Politik nicht gerade sauber mit der ein anderen Kunstaktion in einem Land umgeht, in dem sich Künstler zu besserwisserischen Hobbypolitikern aufschwingen, ist nun wirklich nicht neu. Johannes Rau, der spätere „Bruder Johannes“ und Bundespräsident, der auf seinem Grabstein den sakrosankten Spruch für die Ewigkeit meißeln ließ, „Dieser war auch mit dem Jesus von Nazareth“, entließ als Kultusminister von Nordrhein-Westfalen Joseph Beuys sehr unheilig 1972 als Düsseldorfer Kunstprofessor. Die repräsentablen Räumlichkeiten im Schloss Bellevue, dem Amtssitz des Bundespräsidenten, tragen die Namen preußischer Herrscher.
Wenn Nächstenliebe nur irgendetwas mit Neugierde auf Kunst, mit diesem christlich-lebensfremden „Versöhnen statt Spalten“ zutun haben will, dann ist die Deklassierung von „Politischer Schönheit“ auf eine so peinliche Art im Grunde schon wieder hässlicher Staatsdadaismus. Dort wo Karikatur walten sollten, spricht der Staat ein ernstes Wörtchen mit. Nachhaltigkeit beginnt im Kopf, nicht beim Mülltrennen. Willkommen in der Berliner Republik. Was soll man dazu schon sagen? Tja: Das ist Berlin!
Obgleich mehr als hundert Jahre alt, durchaus in einem fast für unser Ohr entfernten Eichendorff-Ton voll simpler, nichts desto trotz in sinnlich starken Bildern gefasst, erregte das Gedicht, vorgetragen von der Kanzlerkandidatin der Aktion „Zentrum für politische Schönheit“, Nina van Bergen, Aufsehen und wurde für eine politische Kundgebung gehalten, so dass der Unruhestifter Ruch und alle an der Aktion beteiligten Künstler auf die Wache musste, wo seine Personalien festgestellt wurden. Ein paar Wochen später musste er beim Landeskriminalamt vorsprechen. „Poesie ist ein Rohstoff, der knapp werden kann“, erklärte er den etwas irritierten Beamten, die alles gewohnt waren, nur eines nicht: Selbst Kunst zu fördern. Mit ihrem Vernehmen gaben sie Stadlers Ode, fast 95 Jahre nach dem Tod des Dichters, einen neuen Sinn. Sie waren Teil einer Aktion, wieder einmal wurde Joseph Beuys posthum gewürdigt, denn er war es ja, der gesagt hatte, jeder Mensch sei ein Künstler. Ein Satz über den die Alltagssatiriker der 70er Jahre, Ordnungswächter, Lehrer und andere kleine Obrigkeiten, besonders hohngelächelt hatten. Auf die Frage, was denn das alles solle, antwortete Ruch den Fragestellern mit Verantwortung für Kunst und Moral: „Aktionskunst macht keinen Sinn, wenn man sie vorher anmelden muss.“ Und resümierte ironiefrei: „Deutschlands Rohstoff-Zukunft liegt in der Poesie.“
Intimsphäre als das letzte wahre Bildungsgut also, gegen Begriffsstutzigkeit und gegen das Lippenbekenntnis für eine „Bildungsrepublik Deutschland“, sondern für Prägung. Es ist ja nun wahrlich nichts Neues, dass der aufgeklärte Mensch kein Wissen möchte, sondern lieber gebildet sein. Kurz: Lieber einer Kultur zu entstammen, an der man leidet, sich abarbeitet, sich vollends erotisieren lässt, als aus einer wohltemperierten Kanüle eines Wissensklons abzustammen. Dass die Politik nicht gerade sauber mit der ein anderen Kunstaktion in einem Land umgeht, in dem sich Künstler zu besserwisserischen Hobbypolitikern aufschwingen, ist nun wirklich nicht neu. Johannes Rau, der spätere „Bruder Johannes“ und Bundespräsident, der auf seinem Grabstein den sakrosankten Spruch für die Ewigkeit meißeln ließ, „Dieser war auch mit dem Jesus von Nazareth“, entließ als Kultusminister von Nordrhein-Westfalen Joseph Beuys sehr unheilig 1972 als Düsseldorfer Kunstprofessor. Die repräsentablen Räumlichkeiten im Schloss Bellevue, dem Amtssitz des Bundespräsidenten, tragen die Namen preußischer Herrscher.
Wenn Nächstenliebe nur irgendetwas mit Neugierde auf Kunst, mit diesem christlich-lebensfremden „Versöhnen statt Spalten“ zutun haben will, dann ist die Deklassierung von „Politischer Schönheit“ auf eine so peinliche Art im Grunde schon wieder hässlicher Staatsdadaismus. Dort wo Karikatur walten sollten, spricht der Staat ein ernstes Wörtchen mit. Nachhaltigkeit beginnt im Kopf, nicht beim Mülltrennen. Willkommen in der Berliner Republik. Was soll man dazu schon sagen? Tja: Das ist Berlin!